Ehrlichkeit: Warum sie eine Tugend ist

Lassen Sie uns ehrlich sein: Ihren großen Durchbruch hatte die Ehrlichkeit auch im Jahr 2015 nicht. Ein Auto-Hersteller betrügt Millionen seiner Kunden. Ein Fußballverband verstrickt sich in abenteuerliche Widersprüche. Einem anderen Fußballverband gehen allmählich die Funktionäre aus, weil einer nach dem anderen verhaftet wird. Korruption, Untreue, Lug und Trug. Die Welt ist voll davon, so scheint es, im 21. Jahrhundert mehr denn je.

Ehrlichkeit: Ausgestorben?

War das früher anders? Nein, sicher nicht. Aber vielleicht sind die Menschen anders damit umgegangen. Vielleicht war man sich früher viel mehr bewusst, dass Ehrlichkeit tugendhaft und Lügnereien ein Frevel sind. „Ein guter Ruf ist mehr wert als Geld und Gut“, hat mir meine Oma stets gepredigt. Und der Volksmund ergänzt: „Ehrlich währt am längsten“. Und ich glaube auch, dass das stimmt. Dass es an der Zeit ist, sich wieder darauf zu besinnen.

Ich kenne Menschen, die nichts und niemandem trauen. Wahrscheinlich, weil sie sich selbst so gut kennen. Ich kenne Menschen, die nie zur Ruhe finden, weil sie sich wie Getriebene, wie Gejagte, wie Verfolgte fühlen. Sie müssen ständig auf der Hut sein, immer höllisch aufpassen, dass ihnen niemand auf die Schliche kommt, dass niemand ihre kleinen und großen Lügen durchschaut. Aus meiner Sicht sind vor allem Führungskräfte gefährdet. Wer über Macht und Möglichkeiten verfügt, hat oft weniger Skrupel, unfaire Mittel anzuwenden. Viele Führungskräfte ertragen umgekehrt die Wahrheit nicht, umgeben sich lieber mit Speichelleckern.

Klein anfangen und groß betrügen

Ich bin aber davon überzeugt, dass gerade die Menschen wichtig sind, die ehrlich zu einem sind – nicht nur im Privaten, auch beruflich. Die Menschen, die ihre ehrliche Meinung sagen, die ehrliche Kritik äußern. Denn auch über dem größten Manager kann das Kartenhaus jederzeit ohne Vorwarnung zusammenbrechen.

Diese Dramaturgie ist immer wieder zu beobachten: Fängt jemand im Kleinen an und kommt mit seiner Gaunerei durch, dann steigt die Gefahr, dass er es alsbald wieder versucht – aber auf einem höheren Niveau. Verschafft er sich erneut einen unverdienten Vorteil – ohne Sanktionen zu erleiden – steigert er sich immer weiter hinein. Irgendwann bemerkt er sein unmoralisches Gebaren vermutlich gar nicht mehr. Er lügt, schummelt, schwindelt – Alltag. Das kann über lange Zeit gut gehen, aber irgendwann bröckelt die Fassade. Das erleben wir gerade bei VW, einem Automobilhersteller, der für Seriosität und Vertrauen stand wie kein zweiter. Das erleben wir beim DFB, dem größten Sport-Fachverband der Welt, der sich sonst gerne als Tugendwächter im Kampf gegen Drogen, Rassismus oder Gewalt feiern lässt. Wer traut ihnen jetzt noch?

Ehrlichkeit: Gut fürs Unternehmen

Ehrlichkeit ist eine charakterliche Tugend. Aber sie ist aus meiner Sicht auch unabdingbar, um langfristig erfolgreich zu sein. Sie hilft, eine Unternehmenskultur aufzubauen, die von Vertrauen und Verlässlichkeit geprägt ist. Sie macht Mitarbeiter stolz auf ihr Unternehmen. Sie stiftet Identifikation. Und sie merzt Fehlerquellen aus, motiviert, spornt an.

Und im Übrigen: Ehrlicher Erfolg mag zwar manchmal schwieriger zu erreichen sein. Aber er ist stabiler, langfristiger, sinnstiftender. Und nur, wenn man ihn auf ehrliche Art und Weise errungen hat, kann man seinen Erfolg auch wirklich genießen. Ganz ehrlich.

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